2. Fahrt mit Ramses auf der Nordsee - Sommer 1995

 

Auf den Spuren Erskine Childers mit Miklas und Martin Schiereck

Im Ruderboot über die Nordsee, Ihr spinnt Ja ! ! ! Das waren die Reaktionen als wir von den Planungen zu unserem nächsten Törn redeten. Und dieses kam uns auf der Fahrt auch immer wieder zu Ohren "Da kommen sie wieder die verrückten Deutschen mit ihrem "lütchen Royboot". Aber so klein ist unser kleines Ruderboot gar nicht, schließlich bringt "Ramses" die stattliche Länge von 8.30m zu Wasser, was uns bei den Hafengebühren auf eine Stufe mit manch größerer Yacht stellte. Die Länge änderte sich deshalb je nach Hafen und Handelsgeschick zwischen 5m und 8.30m.  Die Breite beträgt jedoch inclusive Ausleger nur etwa 1.20m und mit ausgeklapptem Schwert kommt er auf einen Tiefgang von etwa 60 cm (ohne Schwert ca. 20 cm) . Zu zweit kann man das unbeladene Boot problemlos tragen.  Im Unterschied zu einem normalen Ruderboot können an zwei Mästen drei Segel gesetzt werden. Durch feste Decks vorn und achtern wird eine für ein Ruderboot erstaunliche Seetüchtigkeit erreicht.

Als Ruderboot würde man Ramses als Zweier Seegig mit Steuermann und Hilfsbesegelung bezeichnen. Die Takelart könnte als Gaffel-Ketsch durchgehen. Gebaut wurde Ramses bei der heute im Rennbootsbau führenden deutschen Ruderbootswerft Empacher,  etwa um 1950. Groß und Besan Gaffelsegel stammen aus dem Jahre 1953 und sind aus Baumwolle. Die Fock ist die Spitze eines alten Korsar-segels.

Am Anfang war "fast" alles wie auf jeder anderen Ruderwander­fahrt; das Boot wurde samt Zubehör auf den Hänger geladen, das Bier verstaut, doch was sollten die Seekarten und Schwimmwesten bedeuten? Kompass und Anker gehören auch nicht zur Grundaus­stattung eines Ruderbootes. Spätestens in Den Helder wurde es dann klar, die Fahrt geht wohl übers Meer. In Den Helder wurde der erste Frikandelstand ausgeplündert und dann machten wir uns auf die Suche nach einer geeigneten Einsetz­möglichkeit. Der einzige brauchbare Steg gehört zum Ruderclub der Holländischen Marine. Die machte wie unsere Nachfragen ergaben, gerade drei Wochen Urlaub. Nur ein paar Torwachen waren zurückge­blieben.

Nach längerer Suche fanden wir dann in Den Oever am Ijsselmeer eine Slipanlage die zum Einsetzen geeignet war. Nachdem sich die örtlichen Wasserrocker  zur Ruhe begeben hatten,  konnten wir Ramses zu Wasser tragen, aufriggern und ausrüsten.

Am nächsten Morgen ging es zeitig durch die Schleuse. Mit vielen anderen Seglern fuhren wir auf die spiegelglatte fast windstille Wattensee. Bei gleißendem Licht herrschte auf unserem offenen Boot verstärkte Sonnenbrandgefahr. Bis kurz vor Oudeschild auf Texel war gemütliches Kaffeesegeln angesagt. Obwohl durch unseren Hafenführer gewarnt,  verschätzten wir uns mit der Stärke des Texelstrooms, der mit bis zu 3 kn an der Hafeneinfahrt vorbei rauscht. So hatten wir auf dem letzten Kilometer noch hart zu pullen, bis wir in unseren ersten Inselhafen einlaufen konnten. Der Vorteil eines schmalen Bootes mit wenig Tiefgang ist, daß man auch in einem eigentlich schon vollen Hafen noch ein Plätzchen findet. Nachdem das Schiff aufgeklart war und sich die Mannschaft landfein gemacht hatte, ging es auf einen Abstecher nach Den Burg, dem Hauptort Texels und in das lebhafte Seebad De Koog.

Da sich ein Ruderboot nicht zum Übernachten eignet, mußten wir an Land ein nettes Plätzchen für uns und unsere Schlaf sacke suchen. Für diese erste Nacht hatten wir einen Platz auf dem Deich hinter einigen großen Steinen ausgewählt, nur leider drehte sich in der Nacht der Wind und es wurde verdammt zugig.  In der Wahl der Übernachtungsplätze wurden wir im Laufe der Fahrt immer geübter. Der zweite Seetag brachte uns einen ungünstigen Nordost Wind mit bis zu 5 Windstärken. Entsprechend unangenehm war unser morgendlicher Start. Direkt nach der Hafenausfahrt mußten wir gegen 'Wind und Wellen anrudern. Im Laufe des Vormittags drehte der Wind auf Nord und so konnten wir einen großen Teil der etwa 30 Seemeilen segelnd zurücklegen. Bei unseren ersten Segelversuchen hätten wir nicht geglaubt, daß sich unser schmales Boot bei soviel Wind noch so gut segeln läßt. Aber mit vollem Gepäck und vier Mann Besatzung auf der Kante,  ließen sich auch 5 Beaufort gut und schnell meistern. Aus den Erfahrungen vom Vortag schlau geworden kalkulierten wir den Strom vor der Hafeneinfahrt von Oost-Vlieland diesmal besser ein und suchten uns den Platz im Hafen an dem kein anderer anlegen konnte.

Oost-Vlieland ist ein entzückendes kleines Städtchen mit einer langen Hauptstraße die von vielen kleinen Häusern und ebenso vielen alten Ulmen gesäumt wird.

Natürlich mußten wir auf so einer Fahrt auch mal in den Dünen schlafen, was den Effekt hatte, daß wir am nächsten Morgen in einer Sandwehe wieder wach wurden. Der Sand war einfach überall! ! !

Von Vlieland sollte es weiter nach West-Terschelling gehen. Die Entfernung zwischen beiden Häfen ist zwar nicht sehr groß, wir hatten aber einen ziemlichen Respekt vor dem Seegat zwischen den Inseln.

-"Ich sagte, daß die Seefahrt hier in jedem Wetter sicher ist, aber ich sollte noch hinzufügen,  daß das Kreuzen der großen Wattenströme zwischen den Inseln mit größter Vorsicht zu geschehen hat." (Erskine Childers / Palstek 2/95)-Deshalb wählten wir einen Kurs der uns südlich der Vogelschutz­insel Richel entlang führte. Hoch am Wind ging es dann quer über den Vliestroom, auf dem eine starke, aber langgezogene Dünung stand.  Und wieder verblüffte uns die Seetüchtigkeit unseres Bootes, vor allem als wir kurz vor der Hafeneinfahrt durch die Hecksee eines Schleppers mußten.

Der Yachthafen von Terschelling versteckt sich hinter einem bei Flut  gerade  überspülten  halbkreisförmigen  Steindamm.  West-Terschelling hat nicht soviel Atmosphäre wie Vlieland, und wirkt insgesamt viel touristischer. Bemerkenswert ist sein Turm, der Brandaris, der seit 1594 den Mittelpunkt des Dorfes bildet. Ein etwa 6 Kilometer langer Fußmarsch zum Strand zeigte uns deutlich die Größe dieser Insel. Auf dem Rückweg hatten wir dann Glück von einem Inseltaxi mitgenommen zuwerden.  Es war sehr schnell,  und  vor  allem  sehr  laut  (Heavymetal),  dafür  aber umsonst.

Unser  Schlafplatz  war  für diese Nacht das Achterdeck eines kleinen Schleppers, bis auf den Dieselgestank und der Gefahr, daß der Schlepper in der Nacht auslauten könnte ein ganz gutes Nachtlager.

Bei gutem Segelwetter mit drei bis vier Beaufort ging es am nächsten Morgen weiter in Richtung Nes auf Ameland. In Nes war der Hafen ebenfalls sehr voll, so daß wir uns entschieden das Boot zu leichtern und aus dem Wasser zu nehmen. Kurz nach unserer Ankunft tauchte in der Nähe der Insel ein weiterer "Verrückter" auf, der mit einem segelbaren Kanu das Watt um Ameland unsicher machte.  Von unserem Boot war er so begeistert, daß er später nochmal mit seiner Frau vorbei kam, um ihr zu zeigen, daß es noch andere gibt, die sein Hobby teilen. Das  Interesse  an uns  war auf  dieser  Insel  besonders groß, anscheinend hat jeder zweite der anwesenden Segler in seinem Leben schon einmal gerudert. Ein Junge war so angetan, das er uns seine Adresse gab, und falls wir auf einer Fahrt noch jemanden brauchen würden,  er wäre  dabei,  (Sein Vater  sah das  etwas skeptischer und befragte uns genaustens zu Ramses Seetüchtigkeit) .

Nes ist   ein schnuckeliges Dorf mit großen Bäumen und alten Häusern, das uns mit Livemusik und netten Leuten empfing.

Je weiter die Fahrt nach Osten fortschreitet desto höher fällt das Watt trocken, desto wichtiger wird es sich auf die Tide ein­zustellen. Hierbei erwies sich unser sehr geringer Tiefgang und die Möglichkeit das Boot über Sandbänke hinüber ziehen zu können als großer Vorteil. Wir konnten so manche Ecke schneiden, wo ein "richtiger" Segler auflaufen würde.

Die Fahrt nach Schiermonigoog erlebte ihren Höhepunkt, als wir aus der Landabdeckung der Vogelschutzinsel Engelsmanplaat heraus kamen und vor uns eine Brecherkette entdeckten, die vom Seegat bis zum Festtand reichte.

-"Wir hatten gerade den Rand des "Frische Gat" erreicht, einem breiten Wattenstrom zwischen den beiden Inseln,  als uns ein heftiger Sturm mit Brandung aus Nordwest traf"  (E.C.  Palstek 2/95). -

Wir nutzten diese Situation zu einer Schwimmwestenübung (Immerhin wußte jeder, wo seine war). Dadurch das die brechenden Wellen relativ langgezogen waren, meisterte Ramses auch dieses Hinder-niss bravourös.  Mitten zwischen den Wellenbergen kam uns ein älterer graumelierter Herr mit einer offenen Jolle entgegen, wendete und lieferte uns ein kleines Rennen, welches er zu seinen Gunsten entscheiden konnte. Uns fehlte einfach l Windstärke, um Ramses zum fliegen zu bringen.

Der Hafen von Schiermonigoog würde bei Ebbe trockenfallen, durch eine Barre wird der Hafen aber sozusagen aufgestaut. Wir ent­schlossen uns weiter nach Lauversoog zu segeln. Nach unserem Versuch in den Fischerreihafen einzusegeln (Fiske hafen is nich für Yachten) schleusten wir uns ins Lauversmeer ein. Im Noorder-gat Yachthafen entdeckten wir zwei Holländer,  die gerade mit einem nachgebauten offenen Wikingerboot aus Norwegen gekommen waren. Auf unsere Fragen wie die Überfahrt war, meinten beide übereinstimmend, daß wir das mit Ramses bei dem guten Wetter auch geschafft hätten.  (Unser nächstes Reiseziel  die Norwegischen Fjorde?). Die untergehende Sonne und den Wind im Rücken segelten wir dann das Lauwermeer bis Zoutkamp. Früh am nächsten Morgen ging es über die Kanäle nach Groningen und weiter nach Deifzijl. Zu diesem Ausflug über die holländischen Kanäle hatte uns die Wetter vorhersage für den Dollart genötigt.  Unsere Nacht in Deifzijl verbrachten wir unter einem Stapel riesiger Tropenholzstämme, die die tags gespeicherte Wärme freundlicherweise an uns abgaben. Von Deifzijl sollte die Fahrt nach Juist gehen, doch hatte ein 6 Beauford Nordwind etwas dagegen. Mit rudern, ziehen, schieben und treideln schafften wir es bis Greetsiel.

Da sich das Wetter am nächsten Tag noch nicht gebessert hatte, nutzten wir die Gelegenheit, uns dieses schöne Fischerdörfchen genauer anzuschauen.

Bei immer noch kräftigem Nordwind ging es endlich weiter in Richtung Juist. Zwei nette Holländer schleppten uns das Stück bis zur  Schleuse  von  Greetsiel,  danach  war  wieder  Muskelkraft angesagt. Der Wind drehte zu unserem Glück von Nord auf Nordost, so daß wir es bis zum Nachmittag bis Juist schafften. Am Pier begrüßte uns das holländische Pärchen mit "Standing ovations".

Waren wir bisher der Meinung, daß wir nicht im Päckchen liegen können, so wurden wir hier eines Besseren belehrt; man braucht nur genügend Fenderkissen und natürlich muß Ramses ganz Außen liegen.

Da sich unsere Zeitplanung ein wenig verschoben hatte, ließen wir Norderney an Backbord liegen und machten unsere Mittagspause auf Baltrum,  der kleinsten der Ostfriesischen Inseln.  Sobald das Wasser mit der Flut wieder ins Watt strömte ging es weiter bis Langeoog, welche wir aber erst bei Dunkelheit erreichten. Nach einer langen warmen Dusche ging es ins Dorf, um auch hier das Nachtleben zu testen. Im Gegensatz zu Juist war die Saison jedoch

mehr oder weniger vorbei.

-"Von der kleinsten - Baltrum - die nur 2 1/2 Meilen lang Ist, kamen wir nach Langeoog ... Jede Insel hat eine dieser Molen, die im Sommer als Landungsbrücken für Dampfer gedacht sind. Diese war für unsere Absichten sinnlos,  da nirgendwo ein Dorf zu sehen war." (B.C. Palstek 3/95).-

Ähnlich wie Baltrum ist auch Spiekeroog ein ruhiges beschauliches Inselchen. Das Dorf Spiekeroog hat sich den Reiz eines ursprüng­lichen Friesendorfes erhalten können. Der Hafen in direkter Nähe zum Ort ist ziemlich neu und nicht sonderlich attraktiv. Wangerooge als östlichste der Ostfriesischen Inseln ist an seinen vielen Türmen von See aus gut zu erkennen. Ganz im Westen steht der Westturm, es folgt der neue Leuchtturm, der Marine-Signalturm und der alte Leuchtturm.

-"Wir  unternahmen noch  zwei  Expeditionen zur  Insel mit dem kleinen roten Dorf mit den sandigen Straßen,  das von einem mächtigen Leuchtturm gekrönt ist. . . . Auf der westlichen Spitze steht ein altertümlicher Kirchturm, frei von der See bei Hoch­wasser" (B.C. Palstek 3/95).-

Bis zum letzten Jahr gab es neben dem modernen Yachthafen am Westanleger einen  idyllischen Watthafen,  der nur über einen langen Holzsteg zu erreichen war. Die Lage mitten im Naturschutz­gebiet führte zur Aufgabe.

Als Zielhafen steuerten wir schließlich den Hafen von Harlesiel an.

11 Tage Wattenmeer lagen hinter uns. Bis auf den Wind, der die meiste Zeit aus der falschen Richtung blies, hatten wir mit dem Wetter riesiges Glück, sonst wären die Nächte unter dem Sternendach sicher nicht so angenehm gewesen.

Trotz des guten Wetters und der Unterstützung durch die Segel waren diese elf Tage teilweise sehr anstrengend. Vor allem die Knüppellei nach Greetsiel und die Mammutstrecke von Juist nach Langeoog forderten uns einiges ab.

Bedenken über die Seetüchtigkeit unseres Bootes zerstreuten sich von Tag zu Tag mehr, nie hatten wir mehr als ein Paar Liter Wasser im Boot, nie wurden uns auch höhere Wellen gefährlich.

Aber ein bißchen verrückt muß man schon sein, wenn man so etwas macht. 

 

                                                                                                                                                            Miklas Schiereck